Verzicht als Heilmittel gegen Krisen
Im Februar bin ich mit meinen beiden Jungs (3 und 5 Jahre alt) bei Coop einkaufen gegangen. Wir näherten uns der Frischzone und wurden empfangen von vollen Körben mit Erdbeeren. Da meinte der Ältere: „Wow so cool, dass bereits im Winter Erdbeeren wachsen. Können wir Erdbeertörtchen zum Zvieri machen?“ Jetzt mal ehrlich, es kann doch nicht sein, dass Fünfjährige das Gefühl haben, Erdbeeren wachsen im Winter. Irgendwo sind wir als Gesellschaft hier ziemlich auf den Holzweg gelangt.
Dank der Corona-Krise sind wir in den letzten Wochen als Gesellschaft gewachsen. Wir haben neue gemeinsame Werte entdeckt. Erstens die Solidarität. Hilfsplattformen und -gruppen spriessen wie Pilze aus dem Boden. Zweitens die Flexibilität in allen Altersschichten. Ein befreundeter Yoga-Lehrer erzählte mir, dass er seine Gruppe „älterer“ Damen, alle über sechzig Jahre, nun über Zoom unterrichtet. Das ginge problemlos. Und drittens die Kreativität. Da gibt es ein Hotel, welches seine Zimmer neu als Co-Working Einzelbüros vermietet. Die Franzosen haben nach ihrer Revolution Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als Grundlage ihrer Nation definiert. Könnte Solidarität, Flexibilität und Kreativität nicht die gemeinsame Basis für uns alle in der Zeit nach Corona werden?
Blenden wir doch kurz die Aktualität der Gesundheitskrise aus, denn wir befinden uns schon wesentlich länger in einer anderen Krise – in der Klimakrise. Die bisher spürbarsten Auswirkungen waren Waldbrände, Überschwemmungen und das rasante Aussterben von Pflanzen- und Tierarten. Der Human Impact Report von 2009 geht davon aus, dass pro Jahr 315’000 Menschen an den Folgen der Klimakrise sterben und 325 Millionen schwerwiegend darunter leiden. Da frage ich mich: Wie kann eine Gesellschaft, die sich zu Corona-Zeiten so massiv einschränkt, bei der Klimakrise einfach sorglos weiterkonsumieren?
Wir können das Schlimmste verhindern, wenn wir bereit sind, auch in Zukunft zu verzichten:
- Möglichst nicht mehr fliegen: Gemäss dem Tages Anzeiger verursacht ein Flug von Zürich nach New York und retour ungefähr so viel CO2 wie ein ganzes Jahr Autofahren oder fast 300 mal mit dem Zug nach Paris und retour. „Nicht fliegen“ ist für mich die effektivste einzelne Massnahme. Natürlich gibt es Berufe, bei denen dies nicht möglich ist. Aber auch hier haben wir in den letzten Wochen bewiesen, dass Online-Meetings oft eine gute Alternative sind.
- Fleischkonsum massiv reduzieren: Schaut man, für wie viel Treibhausgas das Fleisch gemäss WWF verantwortlich ist, merkt man rasch, dass dies ein Hebel sein könnte. Ein Fleischgericht belastet die Umwelt im Schnitt dreimal mehr als ein vegetarisches Gericht.
- Für die Natur wählen: Die wirksamsten Massnahmen sind politisch. Wir brauchen Politiker, die sich öffentlich für die Natur einsetzen. Dies würde heissen, keine Ölheizungen mehr, Abstossen von Beteiligungen an Kohlekraftwerken, konsequente Förderung von erneuerbaren Energien, schnelles Vorantreiben von energetischen Gebäudesanierungen sowie massive Verteuerung von CO2 emittierenden Transportmitteln wie Flugzeugen, Autos und Lastwagen.
In den letzten 30 Jahren wurde die Hälfte aller jemals aus fossilen Brennstoffen entstandenen Emissionen ausgestossen. Ich werde dieses Jahr 40 und fühle mich mitverantwortlich. Eigentlich wäre es einfach, etwas zu ändern und ich wünsche mir, dass sich diese drei Punkte möglichst viele in meiner Generation zu Herzen nehmen. Nicht für mich, sondern für unsere Enkel. Damit auch sie irgendwann einmal auf diesem Planeten mit gutem Gewissen Grosseltern werden können. Lasst uns auch über die Corona-Krise hinaus solidarisch, flexibel und kreativ sein.
Christian Hirsig ist Unternehmer. Seine Projekte erstrecken sich von der Open Innovation Plattform Atizo, über das Kochbuch „Geile Eier“, zu seinem eigenen Bier Blacknose bis hin zur Programmierschule für Flüchtlinge Powercoders.
Dies ist eine gekürzte Version – hier finden Sie den Artikel in voller Länge: http://durchdenken.ch/