Wie die Kreislaufwirtschaft im Krieg um Ressourcen zur besten Verteidigung wird
09 September 2025 07:05
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Wenn die ersten Risse in der Globalisierung zeigten, wo das alte System fragil war, machen die neuen sogenannten Rohstoffkriege deutlich, wie schnell die Einsätze eskalieren können.
Derzeit ringen Führungskräfte weltweit mit demselben Problem: Kritische Rohstoffe sind nicht mehr leicht zu beschaffen, die Preise sind volatiler geworden und der Wettbewerb um Ressourcen ist hart. Dies gilt sowohl für Edelmetalle – so hat sich zum Beispiel der Goldpreis in den letzten fünf Jahren verdoppelt und jagt neuen Höchstständen hinterher – als auch für Basismetalle. Lithium, Kobalt, Tantal und andere Seltene Erden stehen im Zentrum eines globalen Wettlaufs, wobei die Rohstoffpreise angesichts konzentrierter Angebotsquellen und geopolitischer Schocks stark schwanken. All dies geschieht, während die Nachfrage nach kritischen Mineralien wächst, angetrieben durch die Energiewende, den globalen Ausbau von Rechenzentren und Investitionen im Verteidigungssektor.
Die Energy Transitions Commission (ETC) schätzt, dass bis 2030 die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bei mehreren Mineralien 40 Prozent für Graphit und Kobalt, 30 Prozent für Neodym und 10 Prozent für Kupfer und Lithium erreichen könnte. Sekundärmaterial aus ordnungsgemässem Recycling spielt dabei eine zunehmend wichtige Rolle, aber die Recyclingquoten sind weiterhin niedrig und werden Zeit benötigen, um sich zu verbessern.
Diese Angebots- und Nachfragedynamik schafft neben den geopolitischen Faktoren erheblichen kurzfristigen Druck. Nach Einschätzung der ETC ist es möglich, dass der grösste Teil der neuen Nachfrage nach sauberen Energietechnologien bis 2050 durch Sekundärversorgung gedeckt werden könnte.
Wer wird Ressourcen-Ströme kontrollieren?
Regierungen greifen ein – Unternehmen, die einst davon ausgingen, stets kaufen zu können, was sie benötigten, werden sich neuer Verwundbarkeiten bewusst.
Die Frontlinien des Wettbewerbs haben sich verschoben. Es geht nicht mehr darum, wer am meisten zum niedrigsten Preis kaufen kann. Heute ist es ein Wettlauf um die Kontrolle über Schlüsselrohstoffe. Das Angebot ist knapper denn je und nationale Regierungen sind unter Druck, um sich den Zugang zu sichern. Zum Beispiel lösten im April Chinas Drohungen, die Exporte seltenen Erden weiter einzuschränken, Schockwellen in der gesamten Elektronik- und Automobilbranche aus. Die EU hat 34 Mineralien als kritisch beziehungsweise von strategischer Bedeutung für die europäische Gesellschaft und das Wohlergehen eingestuft. Mit höchster Priorität wird hier das Gesetz über kritische Rohstoffe entwickelt. Der Zugang zu Ressourcen ist sowohl für Primär- als auch für Sekundärrohstoffe ins Zentrum der nationalen Agenda verschiedener Staaten gerückt. So behandelt die aktuelle US-Politik beispielsweise Altkupfer als strategisch wichtigen Rohstoff. Die Dynamik von Handelsbarrieren zeigt, wie sich das Umfeld verändert: Zölle auf Aluminiumprodukte aus der EU bleiben bei 50 Prozent, während auf Aluminiumschrott nur 15 Prozent erhoben werden. Das schafft klare Anreize, Sekundärmaterial zu exportieren. Der Wettlauf um die Kontrolle über natürliche Ressourcen intensiviert sich.
Die Ressourcenkonflikte betreffen nicht nur neue Bergbauprojekte, sondern zunehmend die Frage, wer im Recycling und in der Sekundärverarbeitung dominiert. Laut der Internationalen Energieagentur werden Länder, die sowohl die primäre Gewinnung als auch robuste Sekundär-(Recycling-)Lieferketten sichern können, in den kommenden Jahrzehnten einen entscheidenden strategischen Vorteil haben.
Wie weit reicht die Ambition Europas?
Die EU hat durch ihr Gesetz über kritische Rohstoffe und die Batterie-Verordnung deutlich gemacht, dass sie eine globale Führungsrolle im Recycling von Batterien und Elektronik anstrebt. Sie verfolgt ambitionierte Ziele zur Verringerung der Import-Abhängigkeit. China investiert derweil weiterhin stark in inländisches Recycling in geschlossenen Kreisläufen für Batterien und seltene Erden im Rahmen seiner Industriepolitik. CATL, ein Schlüsselakteur in der Batterieindustrie mit einem Marktanteil von fast 40 Prozent im Bereich Elektrofahrzeuge, investiert in seine globale Expansion und plant, seine Batterie-Tausch- und Recyclingtechnologie auch in Europa einzuführen.
Dennoch bleibt der globale Ausblick mit Risiken belastet. Und das trotz der Bemühungen grosser Volkswirtschaften, ihre Positionen als führend im Recycling und in der Sekundärverarbeitung zu stärken und eine grössere Selbstversorgung mit kritischen Materialien zu sichern. Die globale IEA-Übersicht zu kritischen Ressourcen 2025 enthält eine deutliche Warnung: Wenn wir die Nachfrage nach natürlichen Ressourcen nicht verringern, die Versorgung nicht diversifizieren und das Recycling nicht drastisch ausweiten, könnten Engpässe nicht nur einzelne Unternehmen, sondern ganze Volkswirtschaften lahmlegen.
Wie bekommen wir unsere Materialien zurück?
Die dringende Frage lautet daher nicht mehr „Woher bekommen wir mehr Materialien?“, sondern vielmehr: „Wie bekommen wir unsere Materialien zurück?“
Zu lange haben Unternehmen Rohstoffe als Verbrauchsgüter behandelt, Lieferketten über Kontinente aufgebaut und wertvolle Ressourcen mit jedem verkauften Produkt ungenutzt aus dem Unternehmen gehen lassen. In einer Welt von Ressourcennationalismus und Versorgungsschocks ist dieses Vorgehen zu einer gefährlichen Belastung geworden. Strategische Diversifizierung bei der Beschaffung und langfristige Verträge sind die einzigen sofortigen Massnahmen, um die Geschäftskontinuität zu sichern. Das Denken verschiebt sich zunehmend darauf, die dauerhafte Resilienz der Wertschöpfungskette zu stärken. Jede Tonne Metall, jede Batterie, die ausgeliefert wird, ist nicht nur entgangener Umsatz, sondern auch zukünftige Verwundbarkeit, eine offene Tür für Störungen der Lieferkette, unvorhersehbare Preissprünge und sogar das Risiko, von kritischen Märkten vollständig ausgeschlossen zu werden.
Was ist zu tun?
Kreislaufwirtschaft liefert die Antwort für diejenigen, die bereit sind, ihr Geschäft neu auszurichten. Der eigentliche Sprung liegt in der sogenannten Servitisierung, was soviel bedeutet wie Dienstleistungsorientierung. Produkte werden als Service angeboten, dabei aber im Eigentum behalten und in Form wertvoller Rohstoffe am Ende des Lebenszyklus zurückgewonnen. Das ist nicht nur clevere Buchführung; es ist die Art, das eigene Geschäft zukunftssicher gegen Schocks zu machen. Dieser Ansatz konzentriert sich radikal auf den Kundennutzen und hält Unternehmen über mehrere Lebenszyklen hinweg mit ihren Materialien verbunden, sodass wertvolle Rohstoffe zurückgewonnen, aufgearbeitet und wiederverwendet werden.
Servitisierung ist nicht nur ein cleveres Geschäftsmodell; es ist ein Schutzschild. Durch das Eigentum der hochwertigen Komponenten und Produkte verringern Unternehmen ihre Anfälligkeit für geopolitische Schocks und Engpässe bei Ressourcen drastisch. Anstatt auf dem offenen Markt nach knappen Rohstoffen zu suchen, können sie das, was sie benötigen, aus ihren eigenen geschlossenen Kreisläufen nach ihren eigenen Bedingungen extrahieren.
Hilti, TRUMPF & Patagonia machen es vor
Betrachten Sie Hilti, das eine solche „Werkzeugflotte“ als Serviceangebot entwickelt hat. Der Fokus liegt auf den Kundenbedürfnissen: ein laufender Werkzeugbestand und maximale Produktivität auf der Baustelle. Ist ein Werkzeug defekt, wird es schnell ersetzt, aufgearbeitet und wieder in die Flotte aufgenommen, ohne dass neue Produkte hergestellt werden müssen. Oder sehen Sie TRUMPF, den deutschen Marktführer für Laserschneidtechnik, der ein neues Geschäftsmodell entwickelt hat, das vom blossen Verkauf von Maschinen hin zum Angebot von „Ausrüstung als Service“ wechselt. Durch das Behalten des Eigentums, das Management der Fernüberwachung sowie die Durchführung aller Wartungen und Upgrades hält TRUMPF kritische Ressourcen und Komponenten innerhalb der eigenen Lieferkette im Umlauf und schützt sich so vor globalen Schocks und Materialengpässen.
Darüber hinaus tragen weitere zirkuläre Geschäftsstrategien zur strategischen Resilienz bei. Marken und OEMs erschliessen aktiv den Sekundärmarkt für ihre Produkte. In der Modebranche haben beispielsweise Unternehmen wie Patagonia oder The North Face Tausch- und Wiederverkaufsplattformen eingerichtet. Das stärkt die Kundenbindung, diversifiziert aber auch die Einnahmequellen: Eventuell gebrauchte Produkte werden verkauft, falls die Lieferketten für die Neuproduktion unter Druck geraten.
Geschlossene Kreisläufe schaffen Mehrwert
Bergbau- und Rohstoffunternehmen sind zunehmend im Bereich Rückgewinnung und Recycling aktiv. Betrachten wir etwa Edelmetalle. Im Vergleich zum Open-Loop-Recycling, bei dem der ursprüngliche Käufer des Metalls die Kontrolle nicht behält und der Schrott anschliessend auf dem freien Markt zurückgewonnen wird, spielt Closed-Loop-Recycling eine immer wichtigere Rolle. Dabei bleiben die Metalle typischerweise innerhalb derselben Anwendungen und meist beim gleichen Eigentümer. Johnson Matthey, ein weltweit führendes Unternehmen im Bereich Platingruppenmetalle (PGMs), entwickelt neue Lösungen und Geschäftsmodelle, um Materialflüsse zu steuern und PGMs im aktiven Gebrauch zu halten.
Dieser Wandel übt auch neuen Druck auf Talente aus. Wenn Unternehmen solche „Produkt als Service“- und Closed-Loop-Strategien ausweiten, steigt die Nachfrage nach Expertise in fortschrittlichem Recycling, digitaler Rückverfolgbarkeit und zirkulären Geschäftsmodellen. Gleichzeitig sind die Talentpools noch nicht so tief wie erforderlich.
Gleichzeitig müssen Führungskräfte das Streben nach Ressourcensouveränität mit den Risiken des Protektionismus in Einklang bringen. Zu strikte Regionalisierung oder „Friendshoring“ – also die Verlagerung von Lieferketten in politisch verbündete Länder – können neue Verwundbarkeiten schaffen, indem sie Flexibilität und Zugang zu globaler Innovation reduzieren. Der Aufbau wirklich widerstandsfähiger Systeme erfordert eine Mischung aus lokalen Kreisläufen, diversifizierter Beschaffung und Offenheit für internationale Zusammenarbeit, sofern diese einen Mehrwert bietet. Für mehrere Materialflüsse wird es erforderlich sein, zusammenzuarbeiten und neue Ökosysteme zu schaffen. Dabei bräuchte es kollektive Systeme für eine Ressourcenrückgewinnung inklusive relevanter Verpflichtungen zur Abnahme.
Schliesslich ist es wichtig anzuerkennen, dass diese Ressourcenstrategien auch Rückwirkungen auf die Förderländer von Mineralien haben, von denen viele in Afrika, Lateinamerika und Südostasien liegen. Während der globale Norden seinen Griff auf recycelte und sekundäre Ströme verstärkt, rücken Fragen der Gerechtigkeit, der Gewinnbeteiligung und langfristigen Partnerschaften in den Vordergrund. Unternehmen mit internationaler Präsenz müssen nicht nur überlegen, wie sie Materialien sichern, sondern auch, wie sie zur nachhaltigen Entwicklung beitragen und neue Abhängigkeitsformen vermeiden können.
Die Einsätze waren noch nie so hoch. Wer in diesem neuen Zeitalter des Ressourcennationalismus den Zugang zu Ressourcen als selbstverständlich betrachtet, legt das Schicksal des eigenen Unternehmens in die Hände Dritter. Wer entschlossen handelt, um zirkuläre Modelle aufzubauen und Servitization zu nutzen, schützt sich nicht nur vor Versorgungsschocks, sondern ergreift die Initiative. Die Gewinner der Ressourcenkriege werden diejenigen sein, die den Mut haben, ihre Ressource zu besitzen, ihre Kreisläufe zu schliessen und das Tempo für eine Branche vorzugeben, die in Echtzeit neu geschrieben wird. Die Zukunft gehört denen, die dieses neue Denken frühzeitig in ihre Produktgestaltung integrieren und wieder zurückführen.
Julia Binderist Professorin für Nachhaltige Innovation und Unternehmenstransformation am International Institute for Management Development (IMD). Sie ist Teil der Thinkers50-Radar-Liste 2022 und wurde für ihre Arbeit an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Innovation gewürdigt. Als Direktorin des IMD Center for Sustainable and Inclusive Business widmet sich Binder der Nutzung des IMD-Fachwissens zu Nachhaltigkeitsthemen, um Führungskräfte dabei zu unterstützen, innovative Lösungen für aktuelle Herausforderungen zu finden.
Manuel Braun ist Gastdozent am International Institute for Management Development (IMD) und gilt als führender Experte im Bereich Nachhaltigkeit und Ressourcen. Nach acht Jahren bei McKinsey spielte er eine zentrale Rolle beim Aufbau von Systemiq Ltd, einem globalen Think-Tank, der sich auf nachhaltige Systemveränderungen spezialisiert. Er arbeitet mit Unternehmen, Investierenden und Führungspersonen zusammen, um Veränderungen an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Innovation voranzutreiben.
Dieser Text ist zuerst über IMD-Kanäle erschienen.