Auf dem Podium diskutierten die Fachleute Thierry de La Tour d’Artaise (SEB) als Zweiter von links, Anne-Christine Champion (Société Générale), Ramon Fernandez (CMA CGM) und Agatha Kratz (Rhodium Group). Bild: Coface

Europa muss sich auf neue Globalisierungsära einstellen

03 März 2025 10:19

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Paris/Zürich - Die Globalisierung des Welthandels tritt in eine neue Phase. Dieser schleichende Prozess birgt gerade für die europäische Wirtschaft grosse Risiken. Das ist der Tenor von Fachleuten aus der Praxis, die bei einer Coface-Konferenz die Evolution der Weltwirtschaft diskutierten.

(CONNECT) Eine neue Ära der Globalisierung zwingt die europäische Wirtschaft zu einer Neupositionierung, die laut einer Expertendiskussion von Anfang Februar von komplexen Entwicklungen abhängt. Der Kreditversicherer und Risikomanager Coface hatte Finanz-, Industrie- und Logistik-Fachleute zu einer Länderrisiko-Konferenz nach Paris geladen. Diese Reihe knüpft an vergangene Konferenzen wie in Zürich an, die jeweils aktuelle Trends des Welthandels in den globalen Kontext einordnen. Bereits 2022 waren bei der Coface-Risikokonferenz in Zürich der Druck auf den Welthandel oder ein neues Konkurrenzdenken bestimmende Themen. Diese Tendenzen haben sich manifestiert: durch den Verlauf der Konflikte in der Ukraine und Israel sowie durch den Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump als Präsident der USA.

Desintegration bestimmt momentan die Weltwirtschaft, betonte in Paris Agatha Kratz vom Forschungsunternehmens Rhodium Group. Sie bezog sich erstens auf die grössten Volkswirtschaften der Welt, USA und China, deren Beziehungen durch sinkende Importe und Investitionen geprägt sind. Zweitens verfolgt China laut Kratz das Ziel, sich unabhängiger vom Weltmarkt zu machen und drosselt seine Importe. „Letztlich besteht der Trend, dass das Produktionsgewicht Chinas im Welthandel stetig wächst“, so Kratz.

China lege nun verstärkt einen Fokus auf den globalen Süden und Südostasien. Aber auch Europas Wirtschaft stehe in wachsender Abhängigkeit zu China. Die Expertin bezeichnet es als unvermeidlich, dass Europa eine chinesische Import-Flut eindämmen werde, um ihre Industrie zu schützen: „2025 wird heikel, Unternehmen sollten sich darauf vorbereiten.“

Hauptgewinner der aktuellen Entwicklungen sind laut ihrer Einschätzung Mexiko und Vietnam als neue Verbindungsländer und ferner auch weitere südostasiatische Staaten. Unter den etablierten Volkswirtschaften profitierten hauptsächlich die USA und Taiwan.

Diese Änderungen in den Wertschöpfungsketten haben grossen Einfluss auf den Warenfluss. Der Finanzchef der weltweit drittgrössten Containerreederei CMA CGM, Ramon Fernandez, erklärte, es würden momentan so viele Güter wie noch nie verschifft, aber: „Insbesondere chinesische Exporte nach Südostasien oder Mexiko haben stark zugenommen – ebenso gibt es Wachstum bei Exporten aus diesen Ländern in die USA.“ Insgesamt verlangten die globalen Verwerfungen Reedereien extreme Flexibität ab.

Dabei sprach Fernandez auch seine Sorge um die Konkurrenzfähigkeit Europas an. So seien etwa Regulierungen im Umweltbereich sinnvoll, doch Unternehmen wie CMA CGM müssten sich in einem wenig regulierten Umfeld behaupten. Noch deutlicher wurde Thierry de La Tour d’Artaise, der Vorstandsvorsitzende des internationalen Herstellers von Haushaltsgeräten, SEB. Auch wenn Umweltaspekte ein starker Treiber für die Industrie seien, befürchtete er: „Wir laufen Gefahr, in Vorschriften zu versinken und von unseren Konkurrenten überholt zu werden.“ Manche Regulierungen hinderten die Innovationskraft und gerade chinesische Hersteller hätten sich als exzellente Innovatoren herausgestellt.

Europa habe auch aus Sicht der Finanzmärkte einen Nachteil, ergänzte Anne-Christine Champion aus der Führungsriege der Bank Société Générale. Grundlegend werde es zum Beispiel durch Sanktionen immer komplexer, Unternehmen und Projekte zu begleiten. Erschwerend komme hinzu: „Unternehmen in den USA finanzieren sich zu einem viel grösseren Teil über den Anleihemarkt als europäische, wo die Finanzierung über Banken dominiert.“ Das verringere den Handlungsspielraum und die Geschwindigkeit, sich weiterzuentwickeln. Anne-Christine Champion sieht für Europa klaren Handlungsbedarf darin, Unternehmen den Zugang zu Kapital zu erleichtern. ce/yvh

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