Alarmsignal Twitter

03 November 2022 12:33

Die Übernahme von Twitter durch Elon Musk ist ein Wendepunkt für soziale Medien, schreibt Steffen Klatt. Die digitalen Treffpunkte werden zu Instrumenten in der Hand von Superreichen (Twitter) oder Supermächten (Tiktok). Wer glaubwürdig kommunizieren will, muss sich nach Alternativen umsehen.
von Steffen Klatt

Typisch Musk, könnte man sagen: Der als extravagant geltende Unternehmer kauft mal schnell ein soziales Netzwerk. So wie er sich bei PayPal, Tesla, SpaceX und manchem anderen engagiert hat – meist erfolgreich.

So einfach ist es nicht. Die Übernahme von Twitter führt dazu, dass ein Kommunikationsinstrument hunderter Millionen Menschen in aller Welt durch die Launen eines einzelnen Mannes regiert wird. Das ist in einer offenen Gesellschaft ein Problem unabhängig davon, wie dieser Mann tickt. In diesem konkreten Fall ist es noch schlimmer: Musk zieht Twitter in die Grabenkämpfe der amerikanischen Politik hinein. Eine spannende Frage ist, ob Twitter das überlebt. 

Es geht um mehr als Twitter. Es geht um die Zukunft der sozialen Medien. Als diese digitalen Treffpunkte vor inzwischen zwei Jahrzehnten aufkamen, waren sie offen für alle und kostenlos. Bald konnte eines von ihnen – Facebook – eine Monopolstellung aufbauen, auch um den Preis, lange nicht profitabel zu sein.

Inzwischen gibt es Dutzende soziale Netzwerke. Jede Altersgruppe hat sein eigenes, jede Interessengruppe auch. Die meisten kommen aus Amerika, Tiktok aus China – die Kommunistische Partei hört mit. Facebook versucht mit seinem Metaverse, ein neues Monopol aufzubauen – und verliert damit Geld.

Eines haben die sozialen Netzwerke nicht geschafft, trotz der Billionen Dollar, die in den zwei Jahrzehnen zu ihnen geflossen sind: Sie sind keine glaubwürdige Quelle verlässlicher Informationen geworden. Relevante Informationen ertrinken im Meer der Belanglosigkeiten, nachprüfbare Tatsachen müssen mühselig aus einer trüben Mischung aus Halbwahrheiten oder auch Lügen gefischt werden.

Belanglosigkeiten, Halbwahrheiten und Lügen sind keine Erfindung der sozialen Netzwerke: Zeitungsenten haben auch früher gelebt. Aber sie wurden her entweder in der nächsten Ausgabe korrigiert oder von der Konkurrenzzeitung genüsslich angeprangert. Die Wahrheit kam ans Licht, meist jedenfalls. In den heutigen sozialen Medien liegt alles durcheinander, Kraut und Rüben, Äpfel und Birnen, faule und gesunde. Die Nutzenden sehen nicht auf den ersten Blick, welche Informationen verlässlich sind.

Das ist nicht gut für diejenigen, die darauf angewiesen sind, glaubwürdig zu kommunizieren. In der demokratischen Diskussion hält sich der Schaden noch in Grenzen: Die politische Konkurrenz sorgt dafür, dass Halbwahrheiten und Lügen angeprangert werden.

In der Wirtschaft ist der Schaden bereits angerichtet: Kleine und mittlere Unternehmen, egal, wie innovativ sie sind, werden mit ihren Botschaften kaum noch wahrgenommen. Und werden sie nicht mehr wahrgenommen, dann finden sie keine neuen Kunden, Partner, Investoren. Diese innovativen kleinen und mittleren Unternehmen sind das Rückgrat der Wirtschaft gewesen. Werden sie es auch in der Zukunft sein?

Twitter war ein wichtiger Kanal für die Unternehmenskommunikation. Wenn es unter Musk im Morast der polarisierten amerikanischen Politik versinkt, wird für Unternehmen die Präsenz in diesem Netzwerk toxisch. Bleiben für Unternehmen noch LinkedIn und Xing. Beide aber sind in erster Linie als Karrierenetzwerke gegründet worden, als Ort, an dem sich die eigenen Mitarbeitenden nach ihrem nächsten Arbeitgeber umsehen – nicht als Ort, an dem Unternehmen über ihre neuen Erfolge, Produkte, Dienstleistungen informieren können.

Unternehmen haben nach dem Auslaufen des alten Medien- und Kommunikationsmodells mit seinen Wirtschaftsmedien, Fachmedien, Leitmessen keine glaubwürdigen und verlässlichen Kanäle für ihre Kommunikation mehr. Wer füllt die Marktlücke?

 

Steffen Klatt ist Geschäftsführer der Nachrichtenagentur Café Europe, die auch die Plattform punkt4.info und zusammen mit dem Verband swiss export die englischsprachige Plattform swisstrade.com betreibt. 2018 ist von ihm im Verlag Zytglogge sein Buch „Blind im Wandel. Ein Nationalstaat in der Sackgasse“ erschienen, im Oktober 2022 im gleichen Verlag „Mehr Schweiz wagen - mehr Europa tun. Ein Kontinent zwischen Aufbruch und Abbruch“.

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