Nachhaltige Unternehmensführung ist die Basis für langfristigen Erfolg
01 April 2025 10:09
Im Zuge der in den USA in Gang gesetzten Hetzjagd auf alles, was irgendwie mit Nachhaltigkeit oder Klimaschutz zu tun hat oder als „woke“ bezeichnet wird, hat sich der Ton seit Anfang Jahr auch in der Schweiz gewandelt. Plötzlich ist es wieder salonfähig, die Abkehr vom „Woke-Kapitalismus“ als längst überfällig zu begrüssen und eine erneute Fokussierung auf die primäre Unternehmensaufgabe – nämlich die Gewinngenerierung für Aktionäre – einzufordern. Es erstaunt, wie rasch man sich in Schweizer Führungsetagen der neuen Windrichtung anpasst und sich die Tonalität in den Jahresberichten verändert. Nachhaltigkeitsziele, die noch im Vorjahr viel Raum einnahmen, sind plötzlich merklich dezimiert und quantitative Aussagen fehlen. Insbesondere Diversity-Themen haben in den Jahresberichten kotierter Schweizer Firmen an Präsenz verloren, aber auch Klimazielen wurden die Zähne gezogen.
Wie „woke“ sind Nachhaltigkeitsziele?
Wer glaubt, CEOs von grossen Firmen mit weitreichenden Nachhaltigkeitsstrategien hingen alle nur einer „woken“ Bewegung nach, die schöngeistige Ideen ausserhalb von Aktionärsinteressen verfolgt, verkennt die wirtschaftliche Relevanz solcher Themen. Der Klimawandel führt schon heute dazu, dass sich gewisse Rohstoffe – zum Beispiel für Lebensmittelproduzenten – massiv verteuert haben, weshalb Unternehmen in die Ausbildung von Kleinbauern in ihrer Zuliefererkette investieren und damit deren Produktivität steigern. Unternehmen aus klimaintensiven Branchen sichern sich Anteile an Firmen, die CO2-Senken erzeugen – nicht etwa aus schöngeistigen Gründen, sondern weil sie davon ausgehen, dass sie bis 2050 eigene Emissionen kompensieren müssen. Und die Förderung von Diversity – was ja hierzulande primär die Förderung von Frauen in Führungspositionen umfasst – ist in einem Umfeld von knappen Arbeitsressourcen ein effektiver Weg, sich den Zugang zu Talenten zu sichern. Bei all diesen Massnahmen ist allerdings der Erfolg kaum kurzfristig zu haben. Nur wer solche Ziele konsequent und langfristig verfolgt, profitiert von den erwünschten Effekten.
Vorschnelle Abkehr als Risiko
Wenn nun der globale Gesinnungswandel dazu führt, dass auch hier viele Firmen eine Kehrtwende vollziehen und die Ausrichtung auf globale Nachhaltigkeitsziele aufgeben, erhöht dies die Risiken für die Firmen selbst, aber auch für ihre Aktionäre. Gerade weil viele Massnahmen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen, sei das in Bezug auf Förderung der Energieeffizienz, der Sicherung von Lieferketten oder der Förderung einer inklusiven Unternehmenskultur, erst auf lange Frist ihre Wirkung entfalten, wäre eine vorschnelle Abkehr problematisch. Bereits erzielte Erfolge werden geopfert und zukünftige Business-Modelle beeinträchtigt. Und weil die Massnahmen nur mittel- bis langfristig wirken, können solche Entscheide nicht kurzfristig korrigiert werden. In einer Zeit, in der sich insbesondere die Klimarisiken immer stärker materialisieren, ist dies eine bedenkliche Entwicklung.
Angestrebte Vereinfachung setzt Ressourcen frei
Allerdings ist auch der Gesetzgeber gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Unternehmen erleichtern, das Thema pragmatisch anzugehen. Mit ihren umfangreichen Richtlinien zu Nachhaltigkeitsberichterstattung und zu Sorgfaltspflichten hat insbesondere die EU über das Ziel hinausgeschossen und dazu beigetragen, dass nachhaltige Strategien heute nicht mehr als Chance, sondern primär als Kostentreiber wahrgenommen werden. Das im Februar von der EU angekündigte „Omnibus“-Paket hat zum Ziel, bestehende Regeln zu vereinfachen und die Reporting-Pflichten auf grössere Unternehmen einzuschränken. Die angestrebte Vereinfachung ist grundsätzlich zu begrüssen, weil sie Ressourcen freisetzen kann, die zur Umsetzung von Massnahmen dringend benötigt werden. Allerdings besteht die Gefahr, dass auch die EU nun zu stark korrigiert, indem sie zum Beispiel die Berichtspflicht auf rund 20 Prozent aller Unternehmen einschränkt. In der Schweiz hat der Bundesrat eben angekündigt, dass er mit der Überarbeitung der Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht noch zuwartet bis klar ist, wohin die Reise in der EU geht. Wirkungsvoller als Berichtspflichten wären ohnehin Rahmenbedingungen, die nachhaltige Lösungen ökonomisch belohnen, sei es mittels Lenkungsabgaben oder steuerlicher Begünstigungen.
Nachhaltigkeit bleibt Kundenpräferenz
Wichtig ist für Unternehmen letztlich, was ihre Kunden wollen. Zumindest im Finanzbereich wird Nachhaltigkeit nach wie vor hoch gewichtet. Von Mitte 2023 bis Mitte 2024 flossen bei Schweizer Retailbanken 87 Prozent der Mittelzuflüsse in ihre nachhaltigen Anlagefonds und nur 13 Prozent in konventionelle. Für Kundinnen und Kunden in der Schweiz steht Nachhaltigkeit also immer noch weit oben auf der Prioritätenliste. Unternehmen, die diesen Präferenzen Rechnung tragen, sind für die Zukunft gut aufgestellt.
Sabine Döbeli ist CEO des Verbands Swiss Sustainable Finance und unter anderem Mitglied der Kommission für internationale Zusammenarbeit, die den Bundesrat berät. Während ihrer Laufbahn war sie bei der Bank Vontobel und der Zürcher Kantonalbank für Nachhaltigkeitsthemen verantwortlich. Sabine Döbeli hat Umweltwissenschaften, Betriebswirtschaft und Marketing studiert.