Entwicklungsprojekte müssen lokales Unternehmertum mobilisieren

16 April 2024 13:28

Entwicklungsprojekte bekämpfen Armut nur dann effektiv, wenn sie dank lokalem Unternehmertum zu Selbstläufern werden. Doch das sei kaum der Fall, sagt Philipp Aerni. Der Direktor des Zentrums für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit (CCRS) kritisiert die Verbandelung von Forschung und Praxis in der Entwicklungszusammenarbeit.
von Philipp Aerni

In einem NZZ-Gastbeitrag zeigt die Entwicklungsökonomin Dina Pomeranz, dass die Armut weltweit trotz allen Unkenrufen in den letzten Jahrzehnten abgenommen habe. Diesen Befund nimmt die Wissenschaftlerin sodann als Beleg für die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit. Doch wo genau liegt der Zusammenhang? Angeblich hat die Forschung gezeigt, dass viele Projekte eine reale Wirkung erzielen. Das mag stimmen, solange die Projekte noch mit Entwicklungsgeldern finanziert werden. Doch in den wenigsten Fällen erweisen sich diese Projekte als Selbstläufer, denn die finanzielle Nachhaltigkeit ist kaum je gewährleistet. Das Angebot an Entwicklungsprojekten orientiert sich nämlich an der Nachfrage der Auftraggeber der Entwicklungszusammenarbeit – und das sind wir, die Spender und Steuerzahlenden in der Schweiz. Die Leute vor Ort dürfen aber bei der Schaffung dieses Angebots „partizipativ“ mithelfen.

Entwicklungsprojekte, die über die reine Nothilfe hinausgehen, müssten sich hingegen an der lokalen Nachfrage orientieren und es dabei dem lokalen Unternehmertum überlassen, das entsprechende Angebot durch die Schaffung eines prosperierenden Marktes bereitzustellen. Die Wirkung zeigt sich dabei nicht nur in der Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern im Beitrag zur Entstehung von neuen Wirtschaftsökosystemen, welche auch die lokale Fähigkeit, auf soziale und ökologische Herausforderungen wirksam zu reagieren, signifikant steigern.
 

Weil die Wirtschaft der eigentliche Motor der Prosperität ist, muss sie auch zwangsläufig eine Rolle bei der Armutsbekämpfung spielen.

Armut ist primär die Abwesenheit von Prosperität, ähnlich wie Kälte, per Definition, die Abwesenheit von Wärme ist. Weil die Wirtschaft der eigentliche Motor der Prosperität ist, muss sie auch zwangsläufig eine Rolle bei der Armutsbekämpfung spielen. Entwicklungsorganisationen und Forschungsinstitute sind allerdings rasch in Sorge, wenn lokale Unternehmen, die mit Entwicklungsgeldern unterstützt werden, auch Gewinnziele verfolgen. Wie soll nämlich so etwas den Spendern verkauft werden, die ihre Spende nach wie vor im christlichen Sinne als Almosen für die Armen verstehen? Es müsste ihnen klargemacht werden, dass die Abhängigkeit von externen „Almosen“-Geldern die eigentliche Ursache der strukturell bedingten Armut sein kann.

Ein Problem dabei ist, dass die Interessen von Entwicklungsorganisationen und Forschungsinstituten stark verbandelt sind. Das zeigt nur schon die Zusammensetzung der Review-Panels von Forschungsförderungsprogrammen. Forschungsprojekte, die bestehende Paradigmen in der Entwicklungszusammenarbeit infrage stellen, können kaum mit Zustimmung rechnen. Mehr Experimentierfreudigkeit in Form von unorthodoxen Pilotstudien ist aber unabdingbar, um herauszufinden, ob Entwicklungszusammenarbeit auch anders gehen kann. Zum Beispiel durch die Schaffung eines Fonds für lokale Unternehmer aus ausgewählten ärmeren Ländern. Diese könnten sich direkt für Risikokapital bewerben, wobei sie bei einem positiven Finanzierungsentscheid die Möglichkeit hätten, über sogenannte Vouchers Schweizer Partner auszuwählen, die ihnen helfen, den anvisierten lokalen Markt auf nachhaltige Weise zum Erfolg zu bringen.

Dieser Ansatz hat den grossen Vorteil, dass die Auftraggeber nicht mehr primär die Spender, die Steuerzahler oder der Nationalfonds sind, sondern die Unternehmerinnen und Unternehmer vor Ort. Ihnen würde die reale Verantwortung für den Erfolg übergeben, weil letztlich sie und nicht unsere Entwicklungsorganisationen die Treiber der lokalen Prosperität sind. Ein solches Experiment kann durchaus auch scheitern, doch es würde selbst dann immer noch wertvolle Informationen über die Gründe des Scheiterns liefern. Falls es aber erfolgreich wäre, würde es zumindest einen gewissen Handlungsdruck auf das „Kartell der guten Absichten“, wie es der bekannte Entwicklungsökonom William Easterly nannte, erzeugen.


Philipp Aerni ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg, Direktor des Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS) sowie Head of Science and Public Policy am Institut für Plant Microbial Biology (IPMB) der Universität Zürich. In den vergangenen Jahren hat er sich vor allem mit der Rolle von Wissenschaft, Technologie und Innovation für eine nachhaltige Entwicklung beschäftigt. Vor seiner Ernennung zum Direktor des CCRS hat Dr. Aerni an der Harvard Universität, der UZH und ETH Zürich, der Universität Bern sowie bei der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gearbeitet.


Der Text ist erstmals erschienen als Gastkommentar in der NZZ