Die Schweiz muss ihre Freunde pflegen

13. April 2022 13:06

Die Ukrainekrise und die Entglobalisierung haben Folgen für die Stellung der Schweiz in der Welt, besonders für ihre Europapolitik. Die Schweiz muss die Freunde pflegen, die sie hat, auch wenn sie nicht in allem mit ihnen einverstanden ist, schreibt Steffen Klatt. Der Isolationismus hat ausgedient.

von Steffen Klatt

Die Schweiz hat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine mit Sanktionen gegen den Aggressor reagiert, trotz ihrer Neutralität. Das ist auch richtig so: Das Konzept der Neutralität wurde geschaffen, um ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa und der Welt zu ermöglichen, nicht, um es Aggressoren leicht zu machen, fremde Städte plattzuwalzen. 

Selbst wenn die Schweiz nicht so klar Stellung bezogen hätte: Die schönen Jahre einer Welt scheinbar ohne Grenzen und mit freien Märkten fast überall sind vorbei. Noch lässt sich nicht absehen, in wie viele Lager die Welt zerfallen wird. Aber klar ist, in welchem Lager die Schweiz stehen wird – jedenfalls in der Wahrnehmung der Welt. Russland hat die Eidgenossenschaft auf die Liste der „unfreundlichen“ Länder gesetzt. China wird registriert haben, wie schnell die Schweiz die westlichen Sanktionen gegen Russland übernommen hat.

Die Schweiz ist Teil des Westens, und sie ist – die Geografie lässt sich nicht ändern – ein Teil Europas. Sie hat dabei noch Glück: Sie ist von Freunden umzingelt. Aber dieses Glück muss sie auch pflegen. 

Die Schweiz hat in den „schönen Jahren“ der Globalisierung keine glückliche Hand im Umgang mit ihren Freunden gehabt. Die USA hat sie vor anderthalb Jahrzehnten vor den Kopf gestossen, als sie das Angebot eines Freihandelsabkommens ausschlug. Die Gespräche mit der EU über eine Modernisierung der bilateralen Beziehungen hat sie erst über anderthalb Jahrzehnte in die Länge gezogen und dann abrupt beendet. Dagegen hat sie ein Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen, von dem angesichts der chinesischen Selbstabschottung nicht mehr klar ist, was es noch wert ist.

Die Schweiz ist nicht allein verantwortlich für den nicht gerade perfekten Zustand ihrer Beziehungen zu den wichtigsten Freunden. Die amerikanische Aussenwirtschaftspolitik ist in den vergangenen Jahren sehr durch eigennützige Ziele geprägt gewesen. Die EU wiederum hat wenig Flexibilität gezeigt, wenn es um ihre Grunddogmen ging wie etwa die Personenfreizügigkeit.

Immerhin: Auch bei den Partnern der Schweiz bewegt sich einiges. Amerika engagiert sich unter Biden so stark in Europa wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die EU zeigt in der Ukrainekrise Geschlossenheit wie schon lange nicht mehr; selbst zwischen Brüssel und London fallen derzeit keine bösen Worte.

Die Schweiz kann dieses Fenster nutzen. Muss sie wirklich warten, bis eine Branche nach der anderen aus dem europäischen Binnenmarkt fällt, wie bisher Medtech und bald die Maschinenindustrie? Muss sie wirklich warten, bis die talentierten europäischen Forschenden lieber nach Deutschland als in die Schweiz gehen, weil diese nicht mehr dem europäischen Forschungsraum angehört? 

Muss die Schweiz bis nach den Wahlen von 2023 warten, um auf Brüssel zuzugehen? Dann wartet sie vielleicht ewig, denn nach der Wahl ist vor der Abstimmung – die SVP wird schon rechtzeitig eine neue, angeblich gefährliche Initiative lancieren.

Der Schweizer Isolationismus à la SVP ist ein Schönwetterprodukt, entstanden nach dem Ende des Kalten Krieges: Wenn die ganze Welt in ewigem Frieden lebt, dann kann man auch seine eigenen kleinen Egoismen pflegen. Jetzt ist der ewige Frieden vorbei, der Isolationismus hat ausgedient. 

Die Schweiz muss wieder das werden, was sie ihrer Lage und ihrem Charakter nach immer gewesen ist: ein aktiver Mitspieler im Konzert Europas. 

 

Steffen Klatt ist Geschäftsführer der Nachrichtenagentur Café Europe, die auch die Plattform punkt4.info und zusammen mit dem Verband swiss export die englischsprachige Plattform swisstrade.com betreibt. 2018 ist im Verlag Zytglogge sein Buch „Blind im Wandel. Ein Nationalstaat in der Sackgasse“ erschienen.

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