Der Umbau hat begonnen
Oberflächlich gesehen wirkt es wie ein perfekter Sturm: Die Preise steigen so rasch wie zuletzt in den 80er Jahren. Die Energieversorgung ist so gefährdet wie zuletzt in den 70er Jahren, als die arabischen Ölförderländer die Lieferungen drosselten. Die Lieferketten sind so unsicher wie nie seit dem Beginn der Globalisierung vor drei Jahrzehnten.
Naht eine neue Weltwirtschaftskrise? Wenn man nur auf die absoluten Wachstumszahlen schaut, vielleicht: Es ist möglich, dass nach der Corona-Rezession von 2020 eine „Ukraine-Rezession“ kommt, ausgelöst durch die ausbleibenden Energieimporte aus Russland.
Aber anders als in der Corona-Rezession wird nun die Wirtschaft nicht einfach ausgebremst. Sondern sie wird umgebaut. Jeder Umbau der Wirtschaft ist teuer. Aber wenn er richtig umgesetzt wird, bildet er die Grundlage für neues und vor allem gesünderes Wachstum.
Die Abnabelung von fossilen Energien war ohnehin nötig. Die selbstverschuldete Abhängigkeit von billigen Importen war kurzsichtig, seit mit Sonnen- und Windkraft Technologien für eine ausreichende Versorgung mit erneuerbaren Energien auf den Markt gekommen sind. Nun erzwingt Putin, was die Befürworter der Energiewende nicht geschafft haben.
Die globalen Lieferketten sind in den vergangenen drei Jahrzehnten auf der Suche nach immer mehr Kosteneinsparungen und Skaleneffekten immer länger und immer komplexer geworden. Irgendwann musste diese Kette brechen. Ob der Bruch der Kette vom Virus ausgelöst wird oder vom Containerstau vor den grossen Häfen oder Sanktionen gegen Russland oder überforderten Fluggesellschaften, das ist Nebensache.
Das bedeutet auch: Die Zeit der globalen Kosteneinsparungen und Skaleneffekte ist vorbei. Die Lieferketten müssen wieder kürzer und widerstandsfähiger werden. Widerstandsfähigkeit kostet – und addiert sich weltweit zu steigenden Preisen.
Die geringe Inflation der vergangenen drei Jahrzehnte war eine Ausnahme, ausgelöst durch die Globalisierung. Jeder Hersteller suchte die billigsten Zulieferer und die billigsten Produktionsstätten. Nun wirkt der Pendeleffekt: Das Ende der Globalisierung führt zumindest mittelfristig zu hoher Inflation. Langfristig führt es – hoffentlich – zu höherer Versorgungssicherheit.
Jeder Umbau bietet Chancen – für den, der sie ergreift. Umbau bedeutet Unsicherheit, also gewinnen die Agilen, die Flexiblen, die Innovativen. Das sind meist die kleinen und mittleren Unternehmen. Das sind die gut vernetzten Unternehmer, die das Gras wachsen hören – oder einfach nur gut informiert sind. Das sind die Manager, die auch mal bereit sind, auf Ideen ihrer Mitarbeitenden zu hören, von guten Erfahrungen anderer zu lernen und Strukturen zu ändern.
Die Schweiz ist eigentlich gut aufgestellt für den Umbau. Ihre Wirtschaft ist auf Wissen aufgebaut. Ihre Unternehmen sind im Weltmassstab bis auf wenige Ausnahmen klein, manchmal mittelgross. Ihre Manager und Beschäftigten sind bestens aus- und weitergebildet. Der dauernde Anpassungsdruck durch die Globalisierung, die offenen Märkte in Europa und den immer stärkeren Franken hat wie ein Fitnessprogramm auf die Wirtschaft gewirkt. Die Wettbewerbsfähigkeit ist entsprechend hoch.
Der Umbau der Wirtschaft kann nur dann zu neuem und gesünderem Wachstum führen, wenn die Wirtschaft nachhaltiger wird, und zwar in allen drei Dimensionen - ökologisch, sozial, wirtschaftlich.
Ökologisch: Die Wegwerfwirtschaft ist ein Sicherheitsrisiko, es führt kein Weg an der Kreislaufwirtschaft vorbei.
Sozial: Ausgelaugte Mitarbeitende sind eine Belastung der Unternehmen, unzufriedene Randgruppen eine Gefahr für die Gesellschaft; ein gesundes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben und die Einbeziehung aller in der Gesellschaft sind die Grundlage jeder gesunden Wirtschaft.
Wirtschaftlich: Effizienz ist gut, aber es braucht auch echte Innovation – und die ist immer ineffizient, zumindest am Anfang.
Der Umbau der Wirtschaft hat begonnen. Jeder kann für sich selbst entscheiden, welche Rolle er oder sie dabei spielen will.
Steffen Klatt ist Geschäftsführer der Nachrichtenagentur Café Europe, die auch die Plattform punkt4.info und zusammen mit dem Verband swiss export die englischsprachige Plattform swisstrade.com betreibt. 2018 ist von ihm im Verlag Zytglogge sein Buch „Blind im Wandel. Ein Nationalstaat in der Sackgasse“ erschienen. Im Herbst folgt im gleichen Verlag „Mehr Schweiz wagen - mehr Europa tun. Ein Kontinent zwischen Aufbruch und Abbruch“.