Braucht es einen Christoph Blocher der Schweizer Medien?
Wer die grossen Kanäle des Informationsflusses in der Hand hat, der entscheidet, was andere wissen. Denn unsere Aufmerksamkeit ist beschränkt, ebenso unsere Fähigkeit, aktiv alternative Kanäle zu suchen. Und selbst wenn wir persönlich alternative Kanäle finden – wenn nur wenige andere sie nutzen, werden dort kaum Informationen zu finden sein.
Künftig entscheidet Elon Musk darüber, welche Themen weltweit am lautesten in die Welt hinausgeplärrt werden. Ein kleiner Dreher am Algorithmus hier, ein provokativer Tweet da - und schon dreht sich die öffentliche Debatte nur noch um dieses Thema, jenen Skandal, diese Celebrity. Donald Trump ist mit Twitter ins Weisse Haus gekommen; weil er nun nicht mehr twittern darf, hat Elon Musk halt Twitter gekauft.
Schon heute dröhnen Twitter, Facebook & Co die gesamte (westliche) Welt zu. Wenig überraschend dominieren dabei Themen, die in der Heimat dieser Internetgiganten beschäftigen: in den USA, genauer, in Kalifornien, genauer, in einem Mikrokosmos von ein paar Quadratmeilen rund um San Francisco. Mit Musk am Twitter-Drücker wird diese Dröhnung nun auch noch gemäss dessen politischen – und vielleicht auch wirtschaftlichen – Interessen feingesteuert.
Die Schweiz kommt in dieser Dröhnung höchstens noch am Rande vor. Sie ist innerhalb von anderthalb Jahrzehnten von einer hochgradig wettbewerbsfähigen – und selbstbewussten – Volkswirtschaft mit einem stolzen Medienplatz zu einer intellektuellen Kolonie Silicon Valleys abgestiegen. Jede Mode, am Laufmeter in jener Digital-Agglo von San Francisco konfektioniert, wurde sofort in die Schweiz geholt, als Weisheit letzter Schluss ausgegeben und kopiert. Viele Manager, die etwas auf sich hielten, zogen für ein „Sabbatical“ – English is a must – ins Silicon Valley, um der Zukunft ins Auge zu schauen.
Woher sollten sie es auch besser wissen? Die heimischen Schweizer Medien haben ja weitgehend aufgehört, vertieft über Wirtschaft, Unternehmen und Innovation ausserhalb der gerade aktuellen Moden zu berichten. Unternehmen, die nicht börsenkotiert sind, kommen in den Schweizer Medien kaum noch vor. Ein paar Skandalgeschichten wie über die in dieser Hinsicht sehr produktive Credit Suisse oder wie der tiefe Fall des Ex-Raiffeisenchefs Pierin Vincenz verdecken die Leere in der Substanz.
Und wie sollen sich die Schweizer Medien auch noch gute Berichterstattung über Wirtschaft, Unternehmen und Innovation leisten? Sie haben sich ja die Butter vom Brot nehmen lassen und zugeschaut, wie die schönen Werbegelder nach Kalifornien abfliessen statt in ihre Kassen. Google, Facebook, LinkedIn & Co holen heute mehr Umsatz aus der Schweiz, als Tamedia, die NZZ Medien, CH Media und die kleineren Zeitungsverlage zusammen. Und als sei das nicht genug, haben Ringier und die Tamedia-Mutter TX Group die lukrativen Rubrikenportale in eine eigene, hochprofitable Firma ausgelagert – und amerikanische Investoren daran beteiligt. Wie soll da guter Journalismus in der Schweiz finanzierbar sein?
Braucht es einen Christoph Blocher, der wie einst gegen die achso-koloniale EU nun auch für die Unabhängigkeit der Schweizer Medien und Informationsflüsse eintritt? Vielleicht nicht gerade Christoph Blocher, der bei der kurzzeitigen Übernahme der „Basler Zeitung“ kein glückliches Händchen gehabt hat. Aber es braucht wieder innovative Medienunternehmer, die anderes können, als den Abfluss von Werbegeldern nach Kalifornien mit dem Abbau journalistischer Leistungen zu beantworten.
Die Twitter-Übernahme durch Musk ist ein Warnschuss auch an die Schweizer Medien. Wird er gehört?
Steffen Klatt ist Geschäftsführer der Nachrichtenagentur Café Europe, die auch die Plattform punkt4.info und zusammen mit dem Verband swiss export die englischsprachige Plattform swisstrade.com betreibt. 2018 ist im Verlag Zytglogge sein Buch „Blind im Wandel. Ein Nationalstaat in der Sackgasse“ erschienen.