Auch die Entglobalisierung muss organisiert werden
Die Globalisierung ist vorbei, vorerst zumindest. Zwar ist noch offen, wie der heisse Krieg in der Ukraine endet. Aber im besten Fall endet die Welt vermutlich in einem Kalten Krieg 2.0, mit dem immer noch wohlhabenden Westen auf der einen Seite, autoritären Staaten um Russland und vielleicht China auf der anderen Seite und einer „Dritten Welt“, die sich aus dem Streit herauszuhalten versucht.
Das hat Folgen für die Wirtschaft. Rohstoffe können nicht mehr dort bezogen werden, wo sie am billigsten sind, sondern nur noch dort, wo sie zu haben sind. Fertigprodukte können nur dort verkauft werden, wo keine Sanktionen drohen – und Dienstleistungen nur dorthin, wohin die eigenen Mitarbeitenden reisen können. Lieferketten werden um so sicherer sein, je kürzer sie sind. Die Inflation wird anziehen, weil die billigen Arbeitskräfte der globalisierten Welt nicht mehr zur Verfügung stehen und die Skaleneffekte der freien Weltmärkte rückgängig gemacht werden.
Das hat Folgen für jedes Unternehmen. „Geiz ist geil“ ist endgültig vorbei: Nicht mehr das Billigste ist das Beste, sondern das langfristig Lieferbare. Redundanz tritt im Namen der Versorgungssicherheit an die Stelle von „just in time“. Die Diversifizierung des eigenen Kundenstamms stärkt die eigene wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Dafür müssen die eigenen technologischen Kompetenzen womöglich in neue Produkte und Dienstleistungen übersetzt werden.
Die Entglobalisierung hat auch Folgen für die Aussenwirtschaftspolitik. Drei Jahrzehnte lang hat sie nur ein Ziel gehabt, die Vorteile der Globalisierung für die Schweiz nutzbar zu machen. Nun dreht sich der Wind. Heute brauchen Schweizer Unternehmen Hilfe bei der Neuorientierung in einer unruhigen Welt, bei der Neuknüpfung von Lieferketten und der Absicherung gegen die Unsicherheit der nicht mehr freien Märkte.
Die Schweizer Aussenhandelsförderer können dafür auf einem guten Fundament aufbauen. Der offizielle Aussenwirtschaftsförderer Switzerland Global Enterprise hat in den vergangenen Jahrzehnten ein Netz aus über zwei Dutzend Swiss Business Hubs in aller Welt aufgebaut. Lange dienten sie vor allem der Förderung des Exports und von Ansiedlungen in der Schweiz – womöglich können sie nun auch bei der Sicherung der Lieferketten helfen.
Auf der Seite der privatwirtschaftlichen Organisationen kennen die bilateralen Handelskammern ihre Märkte oft bis ins Detail und pflegen enge Beziehungen zu ihren Mitgliedsfirmen. Swiss export wiederum ist zur grössten privaten Organisation der Exportwirtschaft in der Schweiz geworden. Andere wie Handel Schweiz haben sich schon seit langem mit der Sicherung der Lieferketten befasst.
Bereits in Corona-Zeiten haben die verschiedenen Akteure der Schweizer Aussenwirtschaft verstärkt auf Zusammenarbeit umgestellt. Dazu gehören informelle Stakeholder-Dialoge, Runde Tische Exportwirtschaft bei Wirtschaftsminister Guy Parmelin oder gemeinsame Veranstaltungsreihen wie diejenige der Handelskammern in Süd- und Ostasien.
Noch basiert diese Zusammenarbeit stark auf informellen Netzwerken und Kontakten. Noch hapert es beim verlässlichen Fluss der Informationen, sowohl untereinander als auch von den Organisationen zu den Unternehmen und zurück. Aber wenn die Schweiz ihre starke innere Vernetzung in einen Standortvorteil ummünzen kann, dann wird sie auch in Zeiten der Entglobalisierung zu den Gewinnern gehören.
Die Schweiz hat sich immer wieder an wechselnde Rahmenbedingungen anpassen können. Sie muss es nur wollen.
Steffen Klatt ist Geschäftsführer der Nachrichtenagentur Café Europe, die auch die Plattform punkt4.info und zusammen mit dem Verband swiss export die englischsprachige Plattform swisstrade.com betreibt. 2018 ist im Verlag Zytglogge sein Buch „Blind im Wandel. Ein Nationalstaat in der Sackgasse“ erschienen.