Wir müssen jetzt Umweltschutz-Innovationen beschleunigen
05 November 2024 10:10
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Es muss schnell gehandelt werden bei der Verbesserung der Umweltverträglichkeit der Wirtschaftstätigkeit. So lautete der Tenor der 70 Bürgerinnen und Bürger der Studie „Sorgengesellschaft Schweiz“ im Rahmen der Initiative „Wir, die Wirtschaft“. Mit ihnen haben wir in 21 Gruppendiskussionen einen Tag lang über drängende wirtschaftspolitische Themen diskutiert. Dabei wollten wir auch wissen, wo die Bevölkerung sich selbst und die Wirtschaft in der Verantwortung sieht, wenn es um den Klimaschutz und den Umbau der Schweizer Energieversorgung geht.
Ein Ergebnis: Der Handlungsbedarf wird aufgrund der Folgen der Klimaerwärmung als hoch eingeschätzt. Die Teilnehmenden haben den Eindruck, dass alles viel zu langsam geht, seit Jahrzehnten „nur herumgeköchelt“ wird. Das ist schwer nachvollziehbar, da es doch „dringend nötig ist, die Umwelt zu schützen und den Energieverbrauch zu senken“. Angesichts der bereits eingetretenen Folgen und der noch möglichen Bedrohungen der Lebensgrundlagen durch Umweltbelastungen sollte die Motivation für Konsumentinnen und Konsumenten und Unternehmen gross genug sein, ihr Verhalten zu ändern.
Zuständigkeiten sind das eine, die Machbarkeit das andere
Die grosse Frage, die sich die Teilnehmenden beim Thema Wirtschaft und Umwelt stellen, ist die nach der Zuständigkeit. Wer ist für die Umwelt verantwortlich? Die Konzerne, der Staat, die Konsumentinnen und Konsumenten? Sorge bereitet das Gefühl, dass sich „keiner so richtig verantwortlich fühlt“. Eigentlich müssten Unternehmen, Politiker und Bürger gemeinsam Verantwortung für dieses „dringliche Thema“ übernehmen. Wahrscheinlich hätten die Unternehmen die grösste Macht, etwas gegen die Umweltverschmutzung zu unternehmen. Es wird aber sowohl an ihrer Transparenz gezweifelt als auch daran, dass sie genug für die Umweltverträglichkeit ihres Wirtschaftens tun. Deshalb solle der Staat sie „motivieren“, „animieren“ und durch „Anreize» zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten. Am Ende bleibt jedoch die grosse Frage: Ist der „Turnaround“ überhaupt noch machbar? Sichere Energieversorgung, Kosten-Nutzen-Relationen, Zeitdruck und Entscheidungsprozesse: „Das zu schaffen, wird nicht ohne sein“ und Auswirkungen auf Lebensstil und Alltag haben.
Die grosse Hoffnung liegt in Innovation
Der Erderwärmung entgegenzuwirken, ohne die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft einzuschränken, ist eine Gratwanderung. Die Lösung wird in Technologie und Innovation gesehen. Fortschritt wird damit zum grössten Hoffnungsträger gegen den Klimawandel bei gleichzeitigem Wohlstandserhalt. Deswegen, so die Teilnehmenden, sollen die Schweiz und die Schweizer Wirtschaft in Innovationen investieren. Doch die Halbzeit bis 2050 ist erreicht und für Innovation läuft die Zeit davon. Beim jetzigen Tempo wird das Dekarbonisierungsziel bis 2050 als nicht realistisch eingeschätzt. Eine gewisse Ohnmacht ist aus den Diskussionen herauszuhören, denn die Leute wissen: Auf gelöste Probleme folgen neue ungelöste Probleme, und die Frage „woher kommt das Geld“ für diese grossen Erfindungen steht immer noch im Raum.
Kostendruck und Verhaltensänderung: die Zwickmühlen bei der Nachhaltigkeit
Sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen wird die „ganze Umsetzung“ mit höheren Kosten verbunden sein. Das wird für „den einen oder anderen schwierig“. Hohe Preise machen den Umbau zu mehr Nachhaltigkeit „kompliziert“, erst recht, wenn die Konsumentenpreise „explodieren“ oder Strom zum „Luxusgut“ wird. Chancen werden in der Bereitschaft zur Konsum- und Verhaltensänderung gesehen. Viele Teilnehmende sehen sich in der Lage, durch gezielten Verzicht und bewusste Kaufentscheidungen einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. In einer kapitalistisch geprägten Wirtschaftsordnung stellt nachhaltiges Handeln jedoch oft ein Dilemma dar, insbesondere wenn die Kosten hoch sind. Es stellt sich die Frage, wer sich Nachhaltigkeit leisten kann. Nachhaltigkeit kann unbequem sein und erfordert ein Umdenken. Aber wann wird dieses Umdenken stattfinden? Die Antwort von Teilnehmenden: Wenn wir es in unserem „Portemonnaie“ spüren.
Gemeinsamer Kraftakt für die Zukunft
Die Herausforderung, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und gleichzeitig die Wirtschaft umzubauen, ist enorm. Beide Seiten sind gefordert, verantwortungsvoll mit den Ressourcen umzugehen und den Energieverbrauch zu senken. Von den Bürgerinnen und Bürgern wird erwartet, dass sie ihr Verhalten und ihren Konsum anpassen – ohne sich durch Mehrkosten oder alte Gewohnheiten davon abhalten zu lassen. Die Unternehmen stehen in der Verantwortung, in nachhaltige Innovationen zu investieren und diese marktfähig zu machen. Durch Innovation und technologischen Fortschritt kann die Schweiz nicht nur ihre Umweltziele erreichen, sondern auch ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit stärken und neue Arbeitsplätze schaffen.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen ihre jeweilige Verantwortung für Wirtschaft und Umwelt neu definieren und wahrnehmen. Denn bereit sein für Veränderungen, heisst Verantwortung mittragen.
Heike Scholten ist Sozial- und Kommunikationswissenschafterin und war von 2001 bis 2010 Kampagnenverantwortliche bei Economiesuisse. Seit 2010 ist die Gründerin von Sensor Advice selbständig tätig. Die Studie „Sorgengesellschaft Schweiz? Perspektiven der Bevölkerung auf Wirtschaftspolitik und Verantwortung“ wurde hauptsächlich von der Gebert Rüf Stiftung finanziert.
Fabienne Hess, Sozial- und Kommunikationswissenschafterin, ist spezialisiert auf Strategie- und Wirkungsanalysen von Kommunikationsmassnahmen. Sie beschäftigt sich intensiv mit dem Einfluss des gesellschaftlichen Wertewandels auf die strategische Kommunikation von Organisationen. Seit 2022 arbeitet sie als Junior Consultant bei Sensor Advice.
Zur Studie in Kürze: „Sorgengesellschaft Schweiz? Perspektiven der Bevölkerung auf Wirtschaftspolitik und Verantwortung“
Die Wirtschaft, so hört man oft, sei für viele ein Feindbild. Unsere Ende Mai 2024 veröffentlichte Auswertung von 21 Bürgerdialogen zeigt, wie die Bevölkerung tatsächlich über die Wirtschaft denkt: Die Menschen sind nicht wirtschaftsfeindlich eingestellt, doch die wirtschaftliche Lage bereitet Sorge. Die Zustimmung zu offenen Märkten ist fragil. In der Steuer- und Sozialpolitik wird Fairness erwartet. Und: Nachhaltiges Wirtschaften gilt als Chance.
Über die Initiative: Wir, die Wirtschaft
Wir haben „Wir, die Wirtschaft.“ initiiert, weil wir der Überzeugung sind, dass die Gesellschaft über die Zukunft der Wirtschaft reden muss. Grosse globale Umwälzungen sind im Gange und fordern uns heraus. Um die Basis für unseren künftigen Wohlstand zu legen, müssen wir unser Wirtschaftsmodell zukunftsfähig machen. Das müssen Wirtschaft, Bevölkerung und Politik gemeinsam schaffen. Daran wollen wir einen Beitrag leisten. Wir arbeiten interdisziplinär, dialogorientiert und hören zu. Das gesprochene Wort ist der Rohstoff für unsere Arbeit. Wir nutzen das Potenzial von Sprache, um Veränderungsprozesse anzustossen und konstruktiv zu gestalten. Möglich machen unsere Arbeit für „Wir, die Wirtschaft.“ unsere Förderpartner - allen voran die Gebert Rüf Stiftung sowie Wirtschaftsverbände und Unternehmen.
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