Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht glaubwürdige Nachrichten

06 November 2024 08:23

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Noch nie wurde so viel Geld für Information und Kommunikation ausgegeben wie jetzt. Dennoch bauen die traditionellen Medien ihre Leistungen ab. Es braucht ein neues Geschäftsmodell für die Information, schreibt Steffen Klatt. Nur dann fliesst das Geld nicht zu Google & Co. ab.

Ich bin mit Herzblut Journalist. Ich habe jeden einzelnen Abschnitt meines Journalistenlebens mit Neugier genossen, vom Lokaljournalismus im Toggenburg über die Berichterstattung aus Lausanne über die Westschweiz und aus Brüssel über die EU bis zu den vielen Nachrichten, die wir jeden Tag als Nachrichtenagentur über coole Schweizer Unternehmen und Forschungseinrichtungen produzieren.

Aber gopferdammi, mir blutet das Herz, wenn ich all diese Medienmitteilungen aus Medienhäusern gross und klein lese, die Stellenkürzungen oder Blätterabbau oder gleich Schliessungen ankündigen. Es ist ja nicht so, dass es nichts mehr zu berichten gäbe für Journalistinnen und Journalisten - die Schweiz ist nicht langweiliger geworden. Es ist auch nicht so, dass es keine Debatte in diesem Land mehr bräuchte – wir stimmen immer noch im Dreimonatstakt über wichtige, weniger wichtige und unwichtige Fragen ab: da braucht es Meinungsbildung, also auch Informationsfutter. 

Und es ist auch nicht so, dass es kein Geld mehr gäbe für die grosse Branche der Information und der Kommunikation – im Gegenteil: Vermutlich wurde in der Schweiz noch nie so viel Geld ausgegeben für Information, Kommunikation, Unterhaltung und Werbung wie jetzt. Nur fliesst dieses Geld heute nicht mehr in die Medienunternehmen, die sich noch vor zwei, drei Jahrzehnten mit lokalen Monopolen eine goldene Nase verdient haben. Sondern der grössere Teil des Geldes fliesst als Werbegelder über Facebook, Google und LinkedIn nach Kalifornien. Der kleinere Teil fliesst in die alten Rubrikengeschäfte, welche von TX Group – der Mutter (man könnte manchmal meinen: der bösen Stiefmutter) von Tamedia – und Ringier profitabel in die SMG ausgelagert worden sind. Der Rest fliesst in darbende und serbelnde Medienhäuschen.

Es kann doch nicht sein, dass Schweizerinnen und Schweizer jedes Jahr 2 Milliarden Franken nach Kalifornien zu Facebook, Google und LinkedIn schicken, damit sie mit Schweizerinnen und Schweizern kommunizieren können. Das ist doch Verhältnisblödsinn! Die Internetkonzerne tun genau gar nichts, um eine Informationsinfrastruktur in der Schweiz aufzubauen und zu unterhalten. 

Dabei wäre es so einfach: Die Schweiz ist ein Land der Netzwerke. Alle sind irgendwo Mitglied und alle sind irgendwie mit allen verbunden. Man muss nur noch diese realen Netzwerke um einen Fluss von Nachrichten ergänzen, und schon hat man die perfekte Informationsinfrastruktur. 

Im Grunde ist das wie beim Übergang von der Telefonie zum Internet: Die genau gleichen Kabel wie für die Sprachtelefonie wurden damals dafür genutzt, Informationsbrocken zu senden und zu empfangen. 

So können wir es auch in der Information machen: Statt unsere Nachrichten bei den alten Medien abzuholen, wo sie nicht mehr sind, holen wir sie bei den Netzwerken ab, denen wir ohnehin angehören. Und dort geben wir auch die Infos über uns ein, die andere überzeugen sollen.

Das ist übrigens der Grundgedanke der Nachrichtenagentur Café Europe, die ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aufgebaut habe und betreibe: Ermögliche allen, die etwas zu sagen haben, sich Gehör zu verschaffen, in der Schweiz und weltweit. Glaubwürdige Nachricht als das ideale Format der Informationsgesellschaft – und als Kern eines neuen Geschäftsmodells, mit dem alte und neue Medien wieder Geld verdienen können.

Die Wirtschaft merkt das Fehlen einer Infrastruktur für den glaubwürdigen Informationsfluss als erste: Innovative Unternehmen müssen sich Gehör verschaffen. Es reicht nicht, gut zu sein – man muss auch gesehen werden. Nur wenn innovative Unternehmen sichtbar sind, finden sie Partner, Kunden, Investoren und Beschäftigte – und werden von ihnen gefunden.

Nachrichten in Netzwerken machen das möglich. Sie sollten es auch ermöglichen, einen Teil jener 2 Milliarden wieder in die Schweiz zurückzuholen. Dann ist auch glaubwürdiger Journalismus wieder machbar in diesem Land.

 

Steffen Klatt ist Geschäftsführer der Nachrichtenagentur Café Europe, die auch die Plattform punkt4.info und zusammen mit dem Verband swiss export die englischsprachige Plattform swisstrade.com betreibt. 2018 ist von ihm im Verlag Zytglogge sein Buch „Blind im Wandel. Ein Nationalstaat in der Sackgasse“ erschienen, im Oktober 2022 im gleichen Verlag „Mehr Schweiz wagen - mehr Europa tun. Ein Kontinent zwischen Aufbruch und Abbruch“.

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